Sie sind in Lettland als ‚Nichtbürger‘ bekannt – Menschen, die im Land leben, arbeiten und Steuern zahlen, aber nur wenige Rechte haben, darunter das Wahlrecht.
In Lettland leben 360.000 Menschen in dieser Situation, das sind etwa 15 Prozent der Bevölkerung.
Trotz zahlreicher Empfehlungen der EU, der UNO und anderer internationaler Organisationen wurde der lettischen Regierung vorgeworfen, zu wenig zu tun, um das Problem der „Nicht-Bürger“ zu lösen.
Doch nun beginnt diese geplagte Gruppe von meist russischsprachigen Menschen, sich gegen die Diskriminierung zu wehren, die darin besteht, im eigenen Land als ‚Nichtbürger‘ abgestempelt zu werden.
Am 1. Juni finden in Lettland Kommunalwahlen statt, und eine kleine Armee von Nichtbürgern organisiert „alternative“ Wahlen zum so genannten „Kongress der Nichtbürger“.
Zwei Jahrzehnte nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Lettlands von der Sowjetherrschaft soll die internationale Öffentlichkeit, nicht zuletzt die EU, auf diesen vermeintlich eklatanten Missbrauch der Menschenrechte in einem EU-Mitgliedstaat aufmerksam gemacht werden.
Ein kurzer historischer Rückblick hilft, das Problem in den richtigen Kontext zu stellen.
Während der Sowjetzeit deportierte die kommunistische Partei massenhaft Letten nach Russland und in andere Republiken und schickte auf Wunsch der lettischen kommunistischen Partei eine große Zahl von Russen nach Lettland, um die Industrie aufzubauen und den Arbeitskräftemangel zu beheben. 1991 wurde Nicht-Letten die Staatsbürgerschaft entzogen. 1991 wurde Nicht-Letten die Staatsbürgerschaft auf der Grundlage ihres Wohnsitzes in Lettland versprochen, aber der volle Status wurde ihnen weiterhin verweigert. Sie blieben ohne offizielle Anerkennung und ohne Rechte bis 1995, als ihnen der beispiellose Status von „Nicht-Bürgern“ zuerkannt und ein „Ausländer“-Pass ausgestellt wurde.
Trotz einiger Fortschritte in den folgenden Jahren haben diese Nicht-Bürger immer noch keine politischen Rechte und dürfen bestimmte Berufe, wie z.B. den des Rechtsanwalts, nicht ausüben oder in militärischen oder sicherheitsrelevanten Positionen arbeiten. Auch der Landbesitz unterliegt Beschränkungen.
Es wird behauptet, dass Nicht-Staatsbürger ihre Zukunft nicht mitbestimmen können, da sie weder an Parlaments- noch an Kommunalwahlen teilnehmen dürfen.
Etwa 50,3 % aller Nichtstaatsangehörigen leben in Riga und 8 % in der Umgebung von Riga. Die Letten bezeichnen die Nicht-Staatsbürger als ‚Russen‘, tatsächlich handelt es sich aber auch um Polen, Ukrainer, Weißrussen und andere ehemalige sowjetische Nationalitäten.
Eine der jüngsten Initiativen der Menschenrechtsbewegung in Lettland ist die Gründung eines „Parlaments der Nichtbürger“.
Der „Kongress der Nichtbürger“ organisiert am 1. Juni 2013 parallele Wahlen mit dem Ziel, eine Art offizielle Vertretung für diejenigen zu schaffen, die bisher von allen politischen Entscheidungen ausgeschlossen waren.
Bei diesen Schattenwahlen“ treten 61 Kandidaten an und alle Letten sind aufgerufen, ihre Stimme abzugeben.
Elizabete Krivcova, eine lettische Anwältin, die das Wahlmanagement-Team für den Kongress der Nichtbürger leitet, sagte: „Vor einiger Zeit war ich Mitglied des Vorstands der Zentralen Wahlkommission Lettlands und jetzt habe ich die Chance, diese Erfahrung für zivilgesellschaftliche Aktivitäten zu nutzen. In vielen lettischen Städten wird es Wahllokale geben, und wir werden auch über das Internet abstimmen.
Sie erklärte, was mit „alternativen“ Wahlen gemeint ist und was sie erreichen sollen: „Parallele Wahlen sind die einzige Möglichkeit, das Problem der Nichtbürger zu lösen. Nach vielen Jahren der Lobbyarbeit und Kommunikation mit den Behörden befürchten wir, dass es keinen politischen Willen gibt, das Problem zu lösen und dieses demokratische Defizit zu beseitigen.
„Die UNO, der Europarat, die OECD und die EU haben den lettischen Behörden empfohlen, Nicht-Staatsbürgern das Wahlrecht bei den Kommunalwahlen am 1. Juni zu gewähren oder die Einbürgerung zu beschleunigen. Es gab einige Fortschritte, als Lettland der NATO und der EU beitrat, aber danach wurden die Empfehlungen weitgehend ignoriert. Die Regierung ist derzeit der Ansicht, dass das Fehlen der Staatsbürgerschaft ein rein persönliches Problem der Nicht-Staatsbürger ist, aber wir wollen zeigen, dass es ein öffentliches Problem ist. Die Einbürgerung wurde gestoppt, weil sie ungerecht ist, nicht weil die Nicht-Staatsbürger mit ihrem Status zufrieden sind.
Sie fügt hinzu: „Wir haben jetzt beschlossen, ein repräsentatives Gremium zu gründen, das ein effektiver Kanal für die Bürgerbeteiligung von Nicht-Staatsbürgern und allen Einwohnern sein wird, die an der Schaffung einer geeinten lettischen politischen Nation interessiert sind.
Das Thema habe ihr viele persönliche Probleme bereitet, sagt sie: „Meine Eltern sagten mir, wenn ich als Anwältin arbeiten wolle, müsse ich den Einbürgerungstest machen – und das habe ich getan. 1998 war die Einbürgerung auch für meine Eltern möglich. Meine Mutter und meine Tante haben sich einbürgern lassen, aber mein Vater nicht. Er wollte die Ungerechtigkeit der Teilung der Letten aufgrund ihrer Herkunft nicht akzeptieren. Er stimmte für die lettische Unabhängigkeit, und das hätte reichen müssen. Das führte zu Problemen in unserer Familie, weil Nichtbürger für viele EU-Länder ein Visum brauchten und damals nicht alle Länder einen Pass für Nichtbürger akzeptierten.
Sie ist der Meinung, dass die EU viel mehr tun könnte, um das Problem in den Griff zu bekommen, und fügt hinzu: „Es wäre hilfreich, wenn das Problem als europäisches Problem anerkannt würde. Ich glaube, dass ein Institut für Staatenlose mit den hohen europäischen Standards für Demokratie und Menschenrechte unvereinbar ist. Untätigkeit bedeutet, Staatenlosigkeit oder eine Staatsbürgerschaft zweiter Klasse in Europa zu akzeptieren.
„Die Kommission könnte mit Lettland über die Notwendigkeit sprechen, das Problem zu lösen, bevor Lettland 2015 die EU-Präsidentschaft übernimmt. Während der EU-Erweiterungsverhandlungen war dies ein Thema, das sowohl der Kommission als auch dem Parlament besonders am Herzen lag. Die lettische Regierung hat sich verpflichtet, das Problem zu lösen, aber fünf Jahre später ist es notwendig, zum ursprünglichen Vorschlag der Kommission zurückzukehren: Die Teilnahme an Kommunalwahlen ist ein sehr starkes Mittel zur Integration. Es wäre ein starkes Signal an die lettischen Nicht-Staatsbürger, dass sie in ihrem Land willkommen sind und dass Dialog und gegenseitiges Verständnis möglich sind.
Die Befürworter der lettischen Nichtbürger haben die Unterstützung mehrerer Europaabgeordneter gewonnen, darunter die der GUE/NGL-Fraktion, deren Vorsitzende Gabriele Zimmer sagte: „Die Abgeordneten unserer Fraktion unterstützen den Kampf für gleiche Rechte für Nichtbürger in Lettland voll und ganz.